Museen sind Orte der Unterhaltung, der Forschung und des Lernens. Museen bewahren und erzählen Geschichten und stiften Identität. Aber was, wenn eine Hälfte der Menschheit in diesen Institutionen nicht gleichberechtigt zu Wort kommt? Immerhin sind auch Museen geprägt von ihrer Geschichte, die lange Zeit Männern das Recht der Geschichtsschreibung zugestand. Als Darlene Clover und Kathy Sanford von der Uni in Victoria, Canada begannen, sich mit Erwachsenenbildung in Museen auseinanderzusetzen machten sie eben diese Erfahrung. So begannen sie sich für Frauenmuseen zu interessieren, besuchten das Frauenmuseum in Meran und es entstand die Idee zu “Feminist Critique and the Museum”.
Ein spannendes Buch in englischer Sprache für alle, die sich für Museen interessieren und dort arbeiten.
Unsere Fragen zum Buch beantworten Darlene Clover und Kathy Sanford, als Initiatorinnen und Herausgeberinnen des Buches, Astrid Schönweger, als Koordinatorin von IAWM (International Association of Women’s Museums) und Gaby Franger, als Mitbegründerin des Museums Frauenkultur Regional-International in Fürth.
Wie ist das Buch entstanden?
Astrid: Es gibt eine Gruppe von Frauen, die an den Universitäten arbeiten, die sich schon länger mit feministischer Kritik in den Museen beschäftigen. Die Recherchegruppe wurde von den kanadischen Universitätsprofessorinnen Darlene Clover, Kathy Sanford und Nancy Taber initiiert. Beim letzten Treffen im Januar 2018 in Lissabon durfte ich damals in meiner Funktion als Koordinatorin von IAWM dabei sein und nicht nur den internationalen Verein der Frauenmuseen, sondern auch die Arbeit der Frauenmuseen selbst vorstellen. Teil der Arbeit dieser Gruppe war von Anfang an, ein Buch zur feministischen Kritik an Museen zu schreiben und ich wurde eingeladen, über die Frauenmuseen und IAWM einen Beitrag mitzuschreiben, was ich schließlich zusammen mit Darlene Cover tat.
Darlene und Kathy: Die Idee zu dem Buch entstand während unserer Studien zu Museen. Am Anfang interessierten wir uns für die Praktiken der Erwachsenenbildung in diesen öffentlichen Bildungsinstitutionen, einschließlich ihrer Exponate und großen Ausstellungen. Im Laufe unserer Studien wurde uns klar, dass diese öffentlichen Repräsentationsstrukturen, die ihrem Gegenstand eine solche Bedeutung und einen solchen Wert verleihen, in Wirklichkeit Frauen zum Schweigen bringen, sie falsch darstellen und/oder stereotypisieren. So entstand die Idee zum sogenannten “Feminist Museum Hack” und zu diesem Buch. Wir hatten auch Astrid Schönweger und durch sie Gaby Franger kennengelernt, und wir wollten in dem Buch eine andere Seite von Museen – speziell Frauenmuseen – als Räume feministischer Kritik und Erinnerung zeigen.
Für wen ist es gedacht?
Astrid: Es ist ein Buch, das eine Grundsatzdiskussion zur Museumsarbeit und insbesondere der Erwachsenenbildung in Museen ermöglicht – also für den wissenschaftlichen Gebrauch einsetzbar.
Darlene und Kathy: Das Buch richtet sich an Studierende, Forscher*innen der feministischen Erwachsenenbildung und Kultur- und Museumstheoretiker*innen. Es ist aber auch für Museumspädagog*innen, Kurator*innen und sogar für nationale oder internationale Institutionen geschrieben, die daran interessiert sind, Museen gesellschaftlich relevanter und verantwortungsvoller zu machen.
Warum brauchen wir eine feministische Kritik von Museen?
Darlene und Kathy: Wir müssen uns daran erinnern, dass Museen jedes Jahr von Millionen von Menschen besucht werden, einerseits, um unterhalten zu werden, aber andererseits auch, um zu lernen. Zum größten Teil vertrauen die Besucher*innen darauf, dass das, was ihnen in Museen vermittelt wird, eine wahrheitsgetreue Darstellung der Welt ist. Es ist problematisch, wenn die Mehrheit der Geschichten von Männern handelt.
Es gibt also eine Reihe von Gründen, warum eine feministische Kritik notwendig ist. Wir nahmen einmal eine Gruppe von Studierenden mit, um unser örtliches Museum zu hacken, eine Geschichte, die wir in diesem Buch erzählen. Als wir im Museum waren, meinte eine Studentin völlig entnervt: “Hier gibt es keine Frauen!”. Eine andere Studentin drehte sich zu ihr um und sagte: “Oh, ich habe eine Frau gesehen.” Darauf angesprochen, erklärte sie, dass sie ein silbernes Teeservice und einen Spitzenfächer gesehen habe. Was sie gesehen hatte, war das, was Feministinnen die abwesende weibliche Präsenz nennen. Es gab keine Frau; sie hatte ein Teeservice mit Frauen assoziiert und glaubte daher, Frauen seien vertreten. Damit werden nicht nur Geschlechterstereotypen und -blindheit perpetuiert, sondern es ist eine Praxis, die es Museen ermöglicht, Frauen weiterhin auszuschließen und zum Schweigen zu bringen.
Geschlechtsblindheit hindert Frauen daran, gleichberechtigt an der Welt teilzunehmen. Sie steckt auch hinter Problemen, die wir weltweit sehen, wie z.B. zunehmende sexualisierte Gewalt, strengere Kontrollen der Bewegungen und Kleidung von Frauen, geringes Selbstwertgefühl bei Frauen und Mädchen und ungesunde Obsessionen mit Schönheit und Körperbild.
Welche Möglichkeiten werden aufgezeigt, um Veränderung anzustoßen?
Kathy und Darlene: Einige Kapitel bieten Möglichkeiten, um Ausstellungen kritisch zu hinterfragen und die Art und Weise, wie Geschichte und Gesellschaft in Museen dargestellt werden, in Frage zu stellen.
“Critical Feminist Museum Hack” wird eingesetzt, um Stimmen und Perspektiven zu untersuchen, die fehlen, falsch dargestellt oder ignoriert werden. Storying und Restorying sind Aspekte des ‘Hacking’, die genutzt werden, um dominante Diskurse in Frage zu stellen, ebenso wie die Diskursanalyse von kuratorischen Aussagen, Titeln und beschreibenden Etiketten. Das Umdeuten von Worten und Bildern ist ein Ansatz, um Perspektiven, Haltungen, Präsentation von Objekten und Erzählungen zu hinterfragen. Feministische Exponate und Beiträge von Frauenmuseen bieten ebenfalls provokante und wichtige Alternativen, um die Art und Weise zu verändern, wie wir Museumsausstellungen sehen und nutzen.
Welche Rolle spielen Frauenmuseen?
Astrid: Die Gründung eines Frauenmuseums ist eigentlich schon Teil der feministischen Kritik an Museen. Denn sie zeigt auf, dass die Geschichte und/oder Kunst von Frauen in anderen Museen in der Umgebung nicht oder nicht genügend zu finden sind. Museen sind jedoch die Instanzen, die in unserer Gesellschaft entscheiden, was sie als „aufbewahrungswürdig“ oder eben auch nicht, als „erinnerungswürdig“ oder eben auch nicht bezeichnen. Sie bewerten damit, was wichtig ist und was nicht, sind damit auch die „Instanzen des Vergessens“. All das ist in den letzten Jahrhunderten, wenn nicht Jahrtausenden mit der Frauengeschichte und -kunst passiert. In Frauenmuseen wird das nachgeholt bzw. wird auch Geschichte im Jetzt geschrieben und was jetzt passiert für die Zukunft aufbewahrt.
Darlene und Kathy: Frauenmuseen sind entscheidend, weil sie so pädagogisch sind. Sie sind Orte, an denen wir die andere Hälfte der Menschheit sehen und kennenlernen können, in all ihrer Vielfalt, ihrer Kraft, ihrem Mut, ihrer Herausforderung und ihrer Mitschuld. Genauso wichtig ist, dass Frauenmuseen keine Angst davor haben, “politische” pädagogische Räume zu sein. Die meisten Frauenmuseen geben sich keinen Vorwand zur Neutralität. Sie bieten eine herausfordernde kritisch-feministische Perspektive auf die Welt, indem sie die vorherrschenden geschlechtsspezifischen Machtverhältnisse sichtbar machen. Sobald wir etwas sehen können, das unsichtbar war, können wir die Welt und uns selbst als Frauen anders kennen lernen. Wenn wir erst einmal “wissen”, können wir das Undenkbare neuer Handlungs- und Veränderungsmöglichkeiten denken.
Worum dreht sich dein Beitrag im Buch, Astrid?
Astrid: Natürlich geht in Darlenes und meinem Beitrag um die Frauenmuseen – wer sie sind, wieso sie wichtig sind, ihre pädagogischen Strategien und ihre Rolle in der Gesellschaft. Wir erklären, was feministische Erwachsenenbildung bedeutet und zeigen die Notwendigkeit von Frauenmuseen auf, bringen Beispiele verschiedener dieser Institutionen weltweit. Wir beschreiben die Erwachsenenbildung in diesen Museen und ihre sonstigen Tätigkeiten und natürlich gehe ich genauer auf das Beispiel des Meraner Frauenmuseums ein und auch auf die Rolle von IAWM als vernetzendes Organ, das die Zusammenarbeit, aber auch die Sichtbarkeit von Frauenmuseen stärkt.
Welchen weiteren Beitrag würdet ihr uns besonders empfehlen?
Astrid: Abgesehen von unserem? 😉 Spaß beiseite. Das Museum der „Frauen in der Einen Welt“ in Fürth hat wahrscheinlich die am weitesten gereiste Wanderausstellung eines Frauenmuseums auf die Füße gestellt zum Thema der Kopftuchkulturen. Eine der Kuratorinnen dieser Ausstellung, Gaby Franger, die heute das Museum leitet und auch im Vorstand von IAWM sitzt, hat zusammen mit Darlene Clover diese Ausstellung von der Entstehung über den Inhalten bis hin zum Echo anschaulich dargestellt. Für mich ein Beispiel, was für Ausstellungen Frauenmuseen vorbringen können, um zur feministischen Erwachsenenbildung beizutragen.
Gaby: Das breite Spektrum feministischer Museumsansätze zeigt sich auch beim “Women’s Active Museum on War and Peace“ (WAM) in Tokio, ebenfalls Mitglied im IAWM. Das Museum will durch Ausstellungen und Bildungsarbeit Gerechtigkeit für die Sexsklavinnen des japanischen Militärs im 2. Weltkrieg, die sog. Trostfrauen, erreichen.
Wie Sachiyo Tsukamato und Sara C. Motta in ihrem Beitrag zeigen, geht es hier darum, der dominanten gesellschaftliche Version von Erinnerungskultur entgegenzutreten. Durch kritische Reflexionen der Kriegsgeschichte und des Umgangs mit den weiblichen Opfern der damaligen Militärmaschine ebenso wie der aktuellen Komplizenschaft der japanischen Regierung und Leugner dieser Verbrechen, schafft das Museum einen Ort, in dem sich Überlebende und Mitglieder der Gesellschaft der Täter begegnen können. WAM ist ein Platz aktiver Konfrontation nicht nur mit unliebsamen historischen Erinnerungen, sondern auch der sozialen und politischen Auseinandersetzung für Gendergerechtigkeit und Frieden.
Interview: Judith Mittelberger