Blog vom Frauenmuseum Il Blog del Museo delle Donne
Frauenmuseum | Museo delle donne

An der Geburtsstätte der Frauenrechtsbewegung – Teil 1

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Gleich auf den ersten Metern nach der Ankunft in Seneca Falls spüren wir, dass wir uns auf historischem Terrain befinden. „Women’s Rights National Historic Park“, „Wesleyan Chapel“, „National Women’s Hall of Fame“ und „House of Elisabeth Cady Stanton“ – gut sichtbar angebrachte Hinweisschilder erinnern an den Kampf um die Frauenrechte, der auf amerikanischem Boden hier um die Mitte des 19. Jahrhunderts seinen Anfang nahm. Sie lotsen die Besucherin zu den Örtlichkeiten entlang des „Pfades der Frauenrechte“ (Women’s Rights Trail), mit dem Seneca Falls, die Geburtsstätte der Frauenrechtsbewegung, eine der größten sozialen Bewegungen der Geschichte feiert. Frauenpower, die an verschiedenen Stätten im Stadtbild sichtbar und lebendig wird.

Als erstes Ziel steuern wir das Frauenmuseum an, das im Herzen des historischen Distrikts liegt. Es wurde 1969 von den Bürger*innen Seneca Falls gegründet, um die bedeutenden Beiträge der Frauen zu würdigen und sichtbar zu machen, die sie für die Entwicklung der USA auf den verschiedensten Gebieten leisteten und leisten. Hier wird deutlich: Frauen schrieben und schreiben Geschichte!

National Women’s  Hall of Fame

Auf in ein Museum, das von seinem Typ her ein Novum für mich darstellt: eine „National Women’s Hall of Fame“, eine nationale Ehrengalerie für Frauen.

Unter dem Solgan Showcasing great women… Inspiring all! läuft das Auswahlprogramm, mit dem bedeutende Frauen für eine Aufnahme ins Museum gesucht werden. Vorschläge, welche Frauen aufgenommen werden sollen, können von jeder und jedem eingebracht werden. Alle 2 Jahre findet eine Nominierungszeremonie statt, in der die von einer Jury anerkannten Frauen in die Ehrengalerie aufgenommen werden. Auch die Jurymitglieder wechseln alle 2 Jahre.

So erklärt es uns die Frau am Eingang zum Museum.

Marianne Wimmer am Eingang zum Frauenmuseum in Seneca Falls

Grundbedingung für die Aufnahme ist, dass es sich bei den Nominierten um Staatsbürgerinnen handelt, von denen die folgenden 4 grundlegenden Fragen überzeugend beantwortet werden können:

  • Welchen Beitrag leistet(e) die Nominierte für die amerikanische Gesellschaft?
  • Welche nationalen und globalen Auswirkungen hat(te) ihr Beitrag?
  • Welche Schwierigkeiten muss(te) sie überwinden, um ihren Beitrag leisten zu können?
  • Öffnet(e) ihre Arbeit Türen für andere Frauen, die somit in ihre Fußstapfen treten können?

Mit diesem Konzept der Women’s Hall of Fame lernt die Besucherin nicht nur historische Persönlichkeiten kennen, sondern auch außergewöhnliche Zeitgenossinnen, die gegenwärtig Geschichte schreiben, ohne es zu beabsichtigen. Wer weiß, wer von ihnen in einigen Jahrzehnten für immer als Berühmtheit in die nationale Geschichtsschreibung der USA eingehen wird?

Die aufgenommenen Frauen werden im Museum in Form von Porträts geehrt, die als gerahmte Bilder an den Wänden hängen. Von der Museumsbetreuerin erfahren wir:

An einigen Bildern finden sich farbige Schleifen. Am Geburtsort der Frauenrechte werden natürlich die Suffragetten besonders hervorgehoben: mit einer Schleife aus Purpur und Gold. Porträts von Frauen, die noch zu ihren Lebzeiten aufgenommen wurden, aber in der Zwischenzeit verstorben sind, tragen ein schwarzes Band.

Elizabeth Cady Stanton

276 Geehrte sind derzeit an den Wänden versammelt. Alle Texte während eines Besuchs zu lesen, scheint unmöglich. So nutze ich die Schleifen für meine Auswahl und konzentriere mich auf die Frauenrechtskämpferinnen. Neben den Frauenporträts bieten viele zusätzlich ausgestellte Objekte eine Fundgrube für Geschichten, die ergänzend über die Ereignisse der Frauenrechtsbewegung und ihrer Protagonistinnen erzählen. Insgesamt gesehen punktet das Museum mit inhaltlicher Vielfalt, über die ich staune. Unter den Porträts finden sich Frauen aus 78(!) Sparten, von A wie Anthropologinnen und Abenteurerinnen, über Biologinnen,  Historikerinnen, Mathematikerinnen, Nobelpreisträgerinnen, Wissenschaftlerinnen, bis Y für Youth Group Founder. Zum Glück findet sich im gut sortierten Museumsshop ein Buch, in dem über das Leben und Wirken aller bisher nominierten Frauen zu Hause nachgelesen werden kann.

Annie Oakley, Star der Buffalo Bill’s Wild West Show

Nach dem Kennenlernen so vieler spannender Persönlichkeiten und ihrer zum Teil abenteuerlichen Lebensgeschichten, verlocken Fragen auf einer Pinnwand zum Innehalten:

  • Wer inspiriert dich?
  • Warum?

Eine große Anzahl angehefteter Post-its zeugt davon, dass sehr viele Besucher*innen die Fragen aufgreifen und sich Zeit zum Antworten nehmen.

Als Verfechterin bequemer Kleidung und ausschließliche Hosenträgerin fällt meine Wahl auf Amelia Bloomer (1818 – 1895). Sie gab als erste Frau 1849 eine Zeitung für Frauen heraus, „The Lily“, in der sie Frauen-relevante Themen abhandelte. Da sie erkannte, dass die Mode der Zeit die Frauen in ihrer Bewegungsfreiheit einschränkte, setzte sie sich in ihrer Zeitung für weite Hosen und knielange Shirts ein. Obwohl sie diesen Kleidungsstil nicht erfand, sondern nur populär machte, ging er als „Bloomer Kostüm“ in die Geschichte ein. Viele der Frauenrechtlerinnen kleideten sich daraufhin in Hosen. Allerdings ließen sie später wieder davon ab, als zunehmender Spott über ihre Kleidung ihr eigentliches Anliegen verdeckte.

Diese Kleidung erleichtert es mir, von der Wiege zum Schreibtisch, von der Küche in den Salon zu laufen, im einen Augenblick Wiegenlieder im Kinderzimmer, und im nächsten auf dem Klavierstuhl die Melodien des guten alten Tom Moore zu singen. Wie könnte ich all das bewerkstelligen, wenn ich lange Röcke trüge.

Es lohnt sich, neben den als Hauptinhalt des Museums präsentierten Frauenporträts auch auf weniger zentral angeordnete Ausstellungsthemen zu achten. So entdecke ich ein Plakat, das eines meiner Lieblingsthemen aufgreift, die Sprache.

Es zeigt auf erhellende Weise, wie man historische Vorstellungen mit Sprache gegen den Strich bürsten und ein neues Geschichtsbild kreieren kann. Hält eine Pfadfinderin nur ein Baby in ihren Armen – wie der ursprüngliche Titel vorschlägt – oder verändert sie gerade Geschichte, weil sie als Babysitterin einer Suffragette ermöglicht, ihr Wahlrecht auszuüben? Manchmal genügen ein, zwei Wörter, um die Gedanken in eine neue Richtung zu lenken und ein neues Verständnis von Welt anzuregen – faszinierend.

Fein auch, wie das Wort G.I.R.L von den Pfadfinderinnen eine neue Interpretation erfährt, indem jedem Buchstaben ein „aktivierendes“ Wort zugeordnet wird: Go-getter (Draufgängerin; eine, die weiß, was sie will), Innovator (Neuerin), Risk-taker (eine Risikofreudige), Leader (An-Führerin). So mag ich es, wenn Mädchen beschrieben werden. Aktive statt passive Zuschreibungen. Ein Weg, um Stereotype aufzubrechen, die über Jahrhunderte von einer Mädchengeneration zur nächsten weitergegeben wurden und immer noch werden.

 

Marianne Wimmer, Frauenmuseensammlerin

 

Seit 2015 reist Marianne Wimmer um den Globus, um alle Frauenmuseen weltweit zu besuchen. Hier auf Ichfrau berichtet sie regelmäßig von dieser spannenden Reise und auf iawm.international sind ihre Berichte auch in englischer Sprache zu finden. Ihre Amerika-Reise, bei der sie auch die National Women’s Hall of Fame in Seneca Falls besuchte, fand im Jahr 2018 statt.

 

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