Blog vom Frauenmuseum Il Blog del Museo delle Donne
Frauenmuseum | Museo delle donne

Ein Museum zur Stärkung der seelischen Kräfte

0

In der taiwanesichen Hauptstadt Taipeh besuche ich das dritte Frauenmuseum meiner Reise, das dem Thema der sogenannten ‚comfort women‘ gewidmet ist.

Mein Quartier, in Gehweite zum zweitältesten Viertel der Metropole, Datong, bietet zwei Vorteile: die Nähe zu einigen Sehenswürdigkeiten und zum Frauenmuseum. Auf einem Spaziergang durch den gut erhaltenen Stadtteil mit seiner ursprünglichen Atmosphäre treffe ich auf den Hafen (Datong Wharf), auf ein altes Handelshaus eines reichen Teehändlers (Chen-Tian-Iai-Residenz), auf das Lin Liu-Hsin Puppenspieltheater-Museum und auf eine der wichtigsten religiösen Stätten Taipehs, den „Xiahai City God Temple“, wo ich viele Gläubige bei ihren Opferzeremonien beobachten kann. Das Frauenmuseum liegt in einer der besterhaltenen Einkaufsstraßen des Distrikts, in der Dihua-Straße, bekannt für ihre historischen Gebäude und die vielen traditionellen Läden. Beeindruckend ist vor allem das Angebot an Waren, das nicht nur das Auge irritiert, sondern auch die Nase „reizt“: verschiedene Arten von Pilzen, Trockenfischen, Schnecken, Wurzelartiges, Nüsse, getrocknete Kräuter, Heilpflanzen und Gewürze.

AMA – Museum
No 256, Section 1, Dihua-Street
Datong District
Taipei City 10347, TAIWAN

Schon im Vorfeld nahm ich Kontakt mit der Museumsleitung auf, die für mich eine Führung in englischer Sprache organisierte. Doch auch ohne eine solche Spezialbetreuung lohnt sich ein Besuch, denn das Museum bietet alle Texte in Englisch.

Ein Museum zur Wiedererlangung und Stärkung der seelischen Kräfte

Was wissen Sie über Ihre Großmutter? Welche Frau war sie? Welches Leben führte Ihre Oma?

Diese Fragen stehen am Anfang meines Rundgangs, als mir meine Begleiterin den Museumsnamen nahebringt:

„AMA“ bedeutet „Großmutter“ und bezeichnet einen zärtlichen Ausdruck, den die Taiwanes*innen seit Ende des 17. Jhd. für ihre Omas verwenden. Mit der Zeit erweiterte sich seine Bedeutung, und das Wort „Ama“ stellt heute generell einen Terminus des Respekts gegenüber Frauen der älteren Generation dar. Über einige taiwanesische Amas, die während ihres Lebens durch harte Zeiten gehen mussten, erzählt dieses Museum.

Prinzipiell geht die Gründungsidee zurück auf KIM HAK-SOON, die sich am 14.8.1991 als erste Zeugin öffentlich als sogenannte „Trostfrau“ bekannte. Seither wird an diesem Tag der „Internationale Tag der Trostfrauen“ begangen. Initiiert wurde das AMA-Museum durch den „Taiwanese Women´s Rescue Fund“ (=TWRF), der 1992 begann, sich mit dem Thema der sogenannten ‚comfort women‘ zu beschäftigen. Im Namen aller Betroffenen betrieb der Hilfsfond jahrelange Forschungen. Auf deren Grundlage gab es im asiatischen Raum ca. 300.000 Sexsklavinnen des japanischen Militärs, davon ca. 2000 aus Taiwan. Über eine Hotline des TWRF meldeten sich 59 Überlebende, die der Veröffentlichung ihrer Namen und ihrer Lebensgeschichten zustimmten und als Zeitzeuginnen die Grundlage des Museums bilden.

Behutsam wie der Begriff „Ama“, fügen sich künstlerische Arbeiten in das Ausstellungsgeschehen ein, die ohne viele Worte einfühlsame Beobachtungen ermöglichen. Die Kunstinstallation namens „Song of the Reed Walk“ („Lied des Riedgrases“), in einem Gedenkkorridor im 2. Stock des Museums, vermittelt die generell spürbar feinfühlige Haltung der Museumsbetreiber*innen gegenüber den ehemaligen Sexsklavinnen. Dieses Kunstwerk gedenkt mit mehr als 1000 von der Decke hängenden, transparenten Röhren der namenlosen Opfer der Vergewaltigungslager. Dazwischen befinden sich 59 metallene röhrenförmige Lampen, die symbolisch die 59 Zeuginnen repräsentieren. Hält die Besucher*in ihre Hände unter eine dieser Lampen, leuchtet in ihren Handflächen der Name einer dieser betroffenen Frauen auf. Es fühlt sich an, als würde man sie – vorsichtig und behutsam wie ein Ei- in seinen Händen halten und ihr Schutz bieten. Neben dieser spürbar vorhandenen Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens, verweist der bei der künstlerischen Arbeit angebrachte Bibelspruch auf die Widerstandskraft und die Resilienz der Betroffenen:

A bruised reed he will not break, and a smoldering wick he will not snuff out. In faithfulness he will bring forth justice. Isaiah 42:3

(Das zerstoßene Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. Jesaja 42:3)

„Song of the Reed Walk“ („Lied des Riedgrases“)

Stimmungsmäßig harmonisch endet der Gedenkkorridor im „Women´s Power Space“ (Raum der Frauenkraft) und seiner Dauerausstellung zu den Wellness Workshops. Dieser Begriff wirkt aufs erste irritierend auf mich, denn mein „westlich“ geschultes Ohr verbindet mit Wellness angenehme Erlebnisse in einer Wohlfühlatmosphäre. Es könnte jedoch sein, dass die Bezeichnung angesichts der thematischen Schwere bewusst gewählt wurde, um den Fokus auf das seelische Gesundwerden zu legen. Die hier ausgestellten Malereien der ehemaligen Sexsklavinnen rücken das AMA-Museum, laut eigenem Anspruch, als „Ort der Heilung“ und „Ort, an dem eine Reise Richtung Resilienz und Wahrheit“ angetreten werden kann, in den Blick. Nach einem halben Jahrhundert des Schweigens begannen die Überlebenden unter therapeutischer Begleitung, die Spuren der sexuellen Versklavung, die sich in ihren Biographien festgesetzt hatten, in einem oft schmerzhaften Prozess aufzuarbeiten. 16 Jahre lang (1996 – 2012) fanden die vom TWRF organisierten Workshops statt. Dabei entstanden, u.a. im Rahmen drama- und kunsttherapeutischer Settings, 178 Arbeiten, von denen sich 73 in der Sammlung des Museums befinden, und die wechselweise ausgestellt werden. Einen Eindruck, wie wertvoll dieses Angebot für die Amas war, gibt folgendes Zitat einer Teilnehmerin:

The feeling of finally having my path understood is like a big stone falling from my heart. Ama Huang A-tao

(Schließlich den eigenen Weg verstanden zu haben, fühlt sich an, als fiele ein großer Stein vom Herzen.)

Nachdem sich meine englischsprachige Begleiterin verabschiedet hat, lasse ich noch einmal die Bilder auf mich wirken. Sie sprechen für sich selbst. Sensibilisiert gehe ich ein zweites Mal, alleine und in umgekehrter Richtung, durch die Museumsräume und konzentriere mich auf jene Inhalte, die mich gleich während des ersten informativen Rundgangs besonders angesprochen haben. Auch in jenem Teil des Museums, der als „Ort der Erinnerung“ über Materialien, Bücher und Geschichten die geschichtlichen Fakten reflektiert (Dauerausstellung im 1. Stock: „Comfort Women“), finden sich berührende Details zur Arbeit mit den Betroffenen. So fragte der TWRF in seinen Interviews nach den Lebensträumen der jungen Frauen, die durch ihr Schicksal vereitelt wurden. In einem speziellen Projekt, mit dem Titel: „Realizing Her Dream“ („Verwirkliche ihren Traum“), ermöglichte der Hilfsfond den Amas, ihre ehemaligen Träume an einem Tag ihres Lebens zu verwirklichen. Ama Hsiu-Mei, die Stewardess werden wollte, bekam die Möglichkeit, einen Tag lang bei der China Air mit 93 Jahren als „älteste Stewardess der Welt“ zu arbeiten. Für sie steht dieses Erlebnis für Bildung, für Fähigkeiten und Möglichkeiten und für Freiheit – Dinge, die ihr im Leben verwehrt blieben.

…………although the world is full of suffering, it is full also of the overcoming of it. Helen Keller (1880 – 1968), amerikanische Schriftstellerin und politische Aktivistin

(………obwohl die Welt voller Leiden ist, ist sie auch voll der Überwindung von Leiden.)

Im Vorbeigehen befasse ich mich noch einmal mit der Kampagne, die der TWRF 1999 gegen die japanische Regierung um Reparationszahlungen anstrengte und erinnere mich, warum die Klage abgewiesen wurde: Laut internationalem Recht kann nur ein Staat einen Prozess führen, nicht einzelne Personen; 70 Jahre nach einem Krieg verjähren die Ansprüche. Nachdenklich verlasse ich den Ausstellungsraum, lese nochmals die Fragen, die der Besucher*in beim Betreten der Ausstellungen mit auf den Weg gegeben werden. Mit der zentralen Frage, die auf das Thema der Freiwilligkeit anspielt, die immer wieder zur Schuldabwehr in den Vordergrund gestellt wird, verlasse ich die Museumsräume:

Ändert die Debatte darüber, ob „Trostfrauen“ unter Zwang oder freiwillig handelten, etwas an der Tatsache, dass sexuelle(r) Gewalt /Missbrauch stattfand?

Ich durchschreite noch einmal den Gang, bebildert mit den Fotos aus dem Leben der ehemaligen Sexsklavinnen, der mir zu Beginn meines Besuchs erste Einblicke in das Leben der Amas ermöglichte. Nun erinnere ich mich beim Betrachten der Aufnahmen daran, dass bei der Eröffnung des Museums 2016 nur mehr 3 der 59 Frauen mit einem Durchschnittsalter von 90 Jahren lebten. Im Jahre 2017 starb die letzte „öffentlich bekannte“ Ama, Chen Lien-hua, im Alter von 93 Jahren. Schlagartig wird mir die Bedeutung dieser ‚Comfort Women‘-Frauenmuseen bewusst, die nach dem Tod der Zeitzeuginnen die Geschichte nicht nur im kollektiven Gedächtnis lebendig halten, sondern durch die Art und Weise ihrer Vermittlung auch in den Herzen der Menschen.

 

Marianne Wimmer, Frauenmuseensammlerin

 

Rückblick auf vorhergehenden Blogbeitrag: Ein Besuch im ‚comfort women‘ museum in Seoul

Vorschau auf den nächsten Blogbeitrag: The National Women`s Exhibition Hall, Seoul, Südkorea

Leave A Reply