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„Ich liebe sogenannte „unmögliche“ Projekte“

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Frau des Monats Juni, Nina Stricker, war mit 31 Jahren eine der wohl jüngsten Kunstmessen-Direktorinnen Italiens und bewegt sich seitdem erfolgreich an der Schnittstelle zwischen Kulturellem und Kommerziellem. Im Interview erzählt sie von ihrem Werdegang und den Herausforderungen ihres Metiers – nicht zuletzt der schier unmöglichen Vereinbarung von Mutterschaft und Karriere.

Wie würdest du dich beschreiben?

Eklektisch, 360° neugierig und mit mindestens 10 Sachen gleichzeitig beschäftigt.

Abwechslungsbedürftig und freiheitsliebend, aber beständig und loyal in den wichtigen Dingen und Beziehungen des Lebens.

Bedingungslos ehrlich und direkt, eine Zugangsweise die mir viel Vertrauen eingebracht hat, die ich aber auch oftmals teuer bezahlt habe.

Sehr bewusst gegenüber dem Essenziellen, nicht leicht vom Überflüssigen zu verführen.

Wenn von etwas begeistert, sehr beharrlich in der Umsetzung. In jungen Jahren benannten mich meine Studien-Kolleg*innen aufgrund der etwas kompromisslosen Art „Panzer“. Mein letzter Übername „Seiden-Caterpillar“ hat wie ich selbst mit den oft auch schmerzvollen Erfahrungen des Lebens weichere Züge angenommen, die im Grunde immer da waren, aber die ich früher nicht so auszudrücken wusste.

Du hast Karriere im Kultursektor, hauptsächlich im Bereich der zeitgenössischen Kunst gemacht, richtig? Erzählst du uns von deinen wichtigsten Erfahrungen?

Angefangen habe ich eigentlich mit einem Kammermusik-Festival in Umbrien noch während der Master-Ausbildung im Kulturmanagement in Rom. 2009 kam ich fast zufällig zur Bozner Kunstmesse kunStart. Deren Leitung übernahm ich 2012 als damals wohl eine der jüngsten Kunstmessen-Direktorinnen Italiens mit knapp 31. Von da an konnte ich mir nichts Erfüllenderes als die intensive und facettenreiche Eventgestaltung zwischen Kulturellem und Kommerziellem mehr vorstellen. Das zugleich adrenalinisierend-temporäre des Großevents mit seinen tausenden menschlichen Beziehungen faszinierte mich. So ging es für mich mit einigen „Ups“ und genauso vielen „Downs“ seit nun schon über 10 Jahren weiter mit den Kunstmessen: 2015 und 2016 kam die Leitung der „Affordable Art Fair“ in Mailand, dann ein leider fehlgeschlagenes Nischenprojekt „Sommet. Winter Salon for Contemporary Art“ im Luxussegment in St. Moritz in der Schweiz. Kurz vor der Pandemie im Januar 2020 die junge Rahmenmesse der Artefiera in Bologna „Booming Contemporary Art Show“. Jetzt seit knapp einem Monat wurde ich als Senior Consultant mit der Projektleitung der nächsten ArtVerona vom 15. – 17. Oktober 2021 beauftragt, eine neue große und spannende Herausforderung.

Wie hast du zur zeitgenössischen Kunst gefunden?

Meine Ausbildung war mit einem humanistischen Studium in „Lettere Moderne“ im mittelalterlichen Perugia eher klassisch und literarisch geprägt. Die mit den damals noch in Schwarz-Weiß Fotokopien und mit auswendig gelernten Maßen und Techniken der Werke gelehrte antike und mittelalterliche Kunstgeschichte war nicht unbedingt mein Lieblingsfach. Es waren eher ein Gastbesuch in Rom im Volksschulalter und ein Erasmussemester in Paris mit eigenständigen, intensiven Museumsbesuchen die mir einen persönlichen Zugang zur Kunst ermöglicht haben. Die zeitgenössische Kunst kam dann langsam über den Masteraufenthalt in Rom und letztendlich sehr gegenwärtig in den zahlreichen Besuchen von Kunstmessen und -veranstaltungen, also ein „learning by doing“ sozusagen.

Nina Stricker, Foto: Fredi Marcarini
Erzählst du uns von deinem Hintergrund? Inwiefern hat dich deine Familie geprägt?

Ich bin in Südtirol, aber in einer multikulturellen, reisebegeisterten und sehr weltoffenen Familie aufgewachsen: die Mutter Linda Jan Esser eine emanzipierte Holländerin mit Ursprüngen in den Kolonien von Surinam und Indonesien, der Vater Erwin Stricker ein Südtiroler „Self-Made-Man“ aus ursprünglich armen Verhältnissen als gemeinsamer Letztgeborener einer Optanten-Mischfamilie. Meine Eltern haben über eine internationale Skisport-Karriere zueinander gefunden und im selben Bereich auch erfolgreiche Unternehmen gegründet, die meine Mutter, nach dem vorzeitigen Tod meines Vaters 2010 weiterführt. Ich und mein älterer Bruder Tim hatten eine nicht immer einfache Entwicklung in der Bewunderung aber auch potenziell im Schatten eines sehr bekannten Vaters und wohl deshalb hat sich keiner von uns je für das Skifahren entschieden. Andererseits waren es aber kompromisslose wichtige Grundwerte die uns weitergegeben wurden, so wie etwa das unermüdliche Lebensmotto meines Vaters „Nichts ist unmöglich“, oder die starke, aber stets gemessene Art meiner Mutter die mich geprägt haben. Schon als Kinder hatten wir die Möglichkeit die Welt zu bereisen, dabei habe ich auch viele internationale Messen besucht. Das Leben unserer Familie war voll von Meetings, Conventions, Events etc. Das hat mich sicher in meiner späteren Berufswahl beeinflusst.

Wie erlebst du Frauenrollen in diesem Metier?

Die Kunst und Kultur ist eigentlich einer der wenigen Bereiche die Großteils in Frauenhand liegen – auch in Führungspositionen. Die Instabilität der vertraglich nur schlecht gesicherten Arbeitsverhältnisse und das Einkommens-gap im Vergleich zu anderen Branchen machen diesen Sektor aber damit nicht automatisch zu einem frauenfreundlicheren. Da es sich bei den Kulturjobs oft um sehr passionsgetriebene und sehr arbeitsintensive Aufgabenbereiche handelt ist eine Karriere in diesem Bereich oft nur sehr schwer mit einem Familienleben zu vereinbaren. Frauen mit einem oder mehreren Kindern sind eher in der Minderheit und nicht nur von Männern, sondern teilweise auch von anderen rein karriereorientierten Frauen auch unbewusst diskriminiert.

Welchen Herausforderungen bist du in deinem Berufsleben begegnet?

Vielen und verschiedenen, meistens jener ein komplexes Projekt in kurzer Zeit und knappem Budget zu realisieren, wie es typisch für den Kultursektor ist. Aber hier liegt für mich das eigentlich Reizvolle, ich liebe schwierige bzw. sogenannte „unmögliche“ Projekte.

Auch die Projektarbeit selbst, in welcher sehr intensive, aber begeisterte Phasen mit Post-Event-Depression alternieren, begeistert mich. Vor allem die Diskontinuität jedes Mal von 0 anfangen zu müssen ist faszinierend in der Abwechslung, aber beinhart wenn man mal wieder grad am Ende eines Projekts steht und nicht weiß ob und wie es weitergeht.

Zwischen einem Projektende und einer neuen Möglichkeit stehen oft Monate, sogar Jahre des Nichts oder der Gelegenheitsjobs, die einem nicht nur auf der Einkommens-Seite sondern auch auf persönlicher Ebene oft hart zusetzen.

Aber die bisher einzige schier unüberwindbare und wirklich schwierige Herausforderung war jene einer doppelten Mutterschaft (Martino und Teresa, jetzt 3 und 5 Jahre alt). Die darauffolgende automatische Diskriminierung und das temporäre Karriere-aus ist wie etwas, gegen das man wie gegen Windmühlen ankämpfen muss, während man gerade in einer der fragilsten Phasen seines Lebens ist und zum ersten Mal auch für andere verantwortlich ist.

Wie stehst du zum Feminismus?

Ich werde von Jahr zu Jahr radikaler. Gerade diese Pandemie hat die Ungerechtigkeit einer keineswegs erreichten Gleichberechtigung in noch keinem Lebensbereich – sei es beruflich oder privat – noch präziser und schmerzlicher für die Betroffenen aufgezeigt.

Welche Lebensweisheit hast du im letzten Jahr gewonnen?

Ich habe die bereits in anderen Krisen- oder Grenzsituationen (wie etwa Tod oder Krankheit wichtiger Bezugspersonen oder ein Lebensabschnitt in selbstgewollter Isolation) gewonnenen Einsichten bestätigt/bestärkt, aber auch gelernt mit meiner Langeweile besser und noch keineswegs gut umzugehen.

Wen bewunderst du?

Jene, die auch im Kleinen großartiges leisten – nicht nur für sich selbst oder auch wenn letztendlich für sich selbst, über das Wohl anderer – und trotzdem oder gerade deswegen nicht an Demut verlieren. Wahre Größe ist zugänglich und nie herablassend und stellt sich selbst ständig in Frage.

Nina Stricker mit ihren Kids
Was ist für dich Erfolg?

Ein erfülltes, erfahrungsreiches Leben in jeder nur möglichen und wertvollen Sekunde.

Dein Lebensmotto?

Das einzig wirklich Essenzielle im Leben sind all jene Erfahrungen – gute, aber auch und vor allem schlechte – die uns zum Bewusstsein führen, dass wir nichts anderes haben oder sind als eben jene Erfahrungen. Solche an die wir zurückdenken und die letztendlich unser Leben und uns selbst ausmachen. Daher Erfahrungen so viele und mögliche und um jeden Preis!

Nina Stricker

Interview: Sissi Prader und Judith Mittelberger

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