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Hure oder Heilige

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Mit diesem Buchtitel lassen die beiden Südtiroler Autorinnen Barbara Bachmann und Franziska Gill derzeit aufhorchen. Die freie Reporterin und die freie Fotografin spüren der Frage nach, was es bedeutet in Italien eine Frau zu sein.

Um mehr über das Buch zu erfahren, haben wir mit den beiden Frauen ein Interview geführt.

Warum braucht es dieses Buch? Und wann entstand die Idee dazu?

Franziska Gilli: In unserer journalistischen Arbeit haben wir uns beide unabhängig voneinander mit Aspekten des Frauenbildes in der italienischen Gesellschaft auseinandergesetzt und gemerkt, dass dahinter noch viel mehr steckt. Also haben wir vor drei Jahren gemeinsam begonnen, tiefer zu graben. Und zwischen diesen beiden Gegenpolen nach den echten Frauen und Männern zu suchen, um herauszufinden, was die beiden Klischees immer noch lebendig erhält.

Barbara Bachmann: Wir wollten genau so ein Buch selbst lesen, aber in der Form, die uns vorschwebte — nämlich zu gleichen Teilen aus Text und Bild bestehend — haben wir keines finden können. Also haben wir uns entschieden, es selbst zu produzieren. Ehrliches Interesse und Neugier am Thema sind die Ausgangspunkte unserer journalistischen Arbeit.

Welches Frauenbild herrscht in Italien vor? Gab es im Laufe der Zeit Veränderungen?

Franziska Gilli: Das Frauenbild in Italien ist primär geprägt von zwei Stereotypen aus der katholischen Kirche: Die Hure und die Heilige, Maria Magdalena und die Jungfrau Maria. Die Kritik daran ist nicht neu, Feministinnen wehren sich schon lange dagegen. Aber vielen von uns ist vermutlich nicht bewusst, wie sehr sie uns auch heute noch beeinflussen. Auch uns war das am Beginn unserer Recherche nicht so klar.

Barbara Bachmann: In den 70er Jahren hat die feministische Bewegung in Italien viele Erfolge erzielt, wie etwa das Recht auf Abtreibung oder Scheidung erkämpft. In den Jahrzehnten darauf gab es, auch durch das Erstarken des Privatfernsehens, viele Rückschläge. Heute ist wieder ein weltweiter, feministischer Aufbruch zu spüren, auch in Italien. Gleichzeitig schüren Politiker der neuen Rechten offen ihren Frauenhass. Wir sind noch immer weit von einer gleichgestellten Gesellschaft entfernt.

links: Europa, Italien, Latium, Rom, 18/01/2018. Beim „Miss Italia“-Casting prüft die Jury, ob die Mädchen
kameratauglich sind.
rechts: Europa, Italien, Ascoli Piceno, 09.09.2020. Die „Suore Pie Operaie dell’Immacolata Concezione“ (Barmherzige
Arbeiterschwestern der Unbefleckten Empfängnis) haben ihr Leben dem Ziel verschrieben, ein lebendiges Abbild der Jungfrau Maria zu sein.
Wer seid ihr beide? Möchtet ihr euch kurz vorstellen? Wie passt ihr in dieses Bild?

Barbara Bachmann: Ich bin freie Reporterin und arbeite für verschiedene Printmedien wie das “Süddeutsche Zeitung Magazin”, die “NZZ am Sonntag” oder “Die Zeit”. Ich bin für meine Arbeit viel im In- und Ausland unterwegs, und lebe die restliche Zeit über in Südtirol.

Franziska Gilli: Ich lebe als freie Fotografin in Hannover. Meine Arbeit umspannt Themen im gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Bereich, denen ich mich in freien journalistischen Projekten genauso wie in Auftragsarbeiten widme.

Wir sind, wenngleich in einer deutschsprachigen Minderheit, in Italien aufgewachsen, mit der Sprache und Kultur vertraut und haben hier “gelernt, Frauen zu sein”. Wir sind daher einerseits Teil der Gesellschaft, mit der wir uns im Buch auseinandersetzen.

Barbara Bachmann: Und andererseits haben wir einen distanzierten Blick darauf, da wir beispielsweise nicht mit dem italienischen Fernsehen groß wurden und im deutschsprachigen Kulturraum zuhause sind bzw. Franziska seit 14 Jahren in Deutschland lebt. Diese Kombination aus Nähe und Distanz empfanden wir als einen großen Vorteil.

Die beiden Autorinnen Barbara Bachmann (li) und Franziska Gilli (re)

Welche Situation, Geschichte, Begegnung oder Begebenheit hat euch am meisten überrascht oder schockiert?

Barbara Bachmann: Ich denke gerne an die Begegnung mit Elide Fanny Alberini zurück, die wir im Sommer 2019 durch Zufall im Laufe unserer Recherche in der Poebene kennen lernten. Mit ihren 99 Jahren konnte sie auf beinahe 100 Jahre Frausein in Italien zurückblicken. Die Klarheit und Ehrlichkeit, mit der sie von ihrem Leben und ihren Erfahrungen erzählte, hat mich sehr berührt.

Franziska Gilli: Beeindruckend war immer wieder, wie sehr die einzelnen Lebensgeschichten miteinander verwoben sind. Das war auch das Spannende an diesem Projekt. Im Grunde hätten wir mit allen Menschen in diesem Land sprechen können, alle haben ihre Prägungen erfahren.

Was ist für euch Feminismus?

Barbara Bachmann: Feminismus, wie wir ihn verstehen, richtet sich gegen jede Form von Sexismus, Rassismus, Diskriminierung und Gewalt. Feministinnen streben eine gerechtere Gesellschaft an, unter Achtung und Wertschätzung der Rechte und Chancen aller. Wir kommen nicht weiter, wenn Gleichstellungsfragen allein den Frauen überlassen werden. Sie gehen uns als Gesellschaft alle gleichermaßen an.

War es leicht, die Bildmotive zu bekommen?

Franziska Gilli: In so einem Projekt steckt viel Recherchearbeit. Es ist ein ständiges Suchen und Finden. Gerade für “Bambola” im ersten Kapitel nahm die Vorarbeit sehr viel Platz ein. Am Ende hat es sich aber gelohnt und ich durfte hinter die Kulissen einiger TV-Shows blicken. Letztendlich entstehen gute Bilder nur, wenn man sich Zeit nehmen und ein gegenseitiges Vertrauen aufbauen kann.

 

Am Mittwoch, 26. Mai um 19:00 sind die beiden Frauen im Frauenmuseum zu Gast und stellen ihr Buch vor. Wir laden Sie herzlich dazu ein, ins Museum zu kommen und gemeinsam über das Frauenbild in Italien zu diskutieren.

Es ist eine Anmeldung erforderlich: info@museia.it oder 0473 23 12 16

Zugang nur mit Corona Pass.

Sie können aber auch via Zoom an der Veranstaltung teilnehmen:

Meeting-ID: 837 8948 6094

Kenncode: 211868

 

Interview: Yvonne Rauter & Sissi Prader

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