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SHHH! Geschichten über Abtreibung und Sexualität

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In wenigen Wochen, am 20.11.2021, eröffnet im Frauenmuseum in Meran die Sonderausstellung „Birth cultures – Geburtskultur – Cultura di nascita“BIRTH CULTURES ist ein EU-Projekt von 2019-2022, das zu einer Reise durch Geschichten und Traditionen rund um Geburt und Mutterschaft einlädt. Eine große Wanderausstellung dazu tourt durch Europa und ist ab Dezember 2021 im Frauenmuseum in Meran zu sehen. Kommt vorbei – neben der Ausstellung erwartet euch auch ein vielfältiges Rahmenprogramm.Diese Sonderausstellung nehmen wir zum Anlass, um im heutigen Beitrag der Rubrik #tanterosa ein Thema rund um Schwangerschaft anzusprechen, das häufig tabuisiert wird: die Abtreibung.

Das Frauenmuseum in Norwegen hat eine Ausstellung dazu eröffnet und uns freundlicherweise einiges an Material und Informationen dazu zur Verfügung gestellt, die wir heute hier veröffentlichen können. Es ist außerdem auch geplant, dass die Ausstellung online zugänglich gemacht wird und über die Seite des Internationalen Netzwerks der Frauenmuseen (IAWM) besucht werden kann.

Worum geht es in der Ausstellung?

„SHHH! Geschichten über Abtreibung und Sexualität“ ist eine physische Ausstellung im Frauenmuseum von Norwegen und eine Online-Ausstellung. Sie thematisiert Schwangerschaftsabbruch als eine universelle weibliche Erfahrung, die es trotz Tabus und Stigmatisierung immer schon gegeben hat. Die Praxis des Schwangerschaftsabbruchs ist seit der Antike bekannt. So enthält z.B. das Werk des griechischen Arztes Soranus von Ephesus – der um das Jahr 100 in Alexandria und Rom als Arzt praktizierte – zahlreiche Beschreibungen von Abtreibungsmethoden wie Diuretika, Massagen und würzige Speisen.

Das Recht der Frauen, ihre Fruchtbarkeit selbst zu bestimmen, einschließlich des Rechts auf sichere Abtreibung, ist aber auch heute noch ein zentrales Anliegen der Frauenbewegung weltweit. Das Thema weckt starke Emotionen, und die Abtreibungsgesetze stehen häufig zur Debatte. In vielen Ländern ist der Schwangerschaftsabbruch immer noch illegal.

Photo credits: WOMEN’S MUSEUM NORWAY
Was will die Ausstellung?

Mit der gewählten Prämisse, dass Schwangerschaftsabbruch eine universelle weibliche Erfahrung ist, arbeitet das Frauenmuseum in Norwegen aus einem anderen Blickwinkel als der geläufigen Dichotomie „pro-choice“ oder „pro-life“. Frauen haben schon immer Wege gefunden, ungewollte Schwangerschaften abzutreiben, und sie werden es immer tun. Die Geschichte zeigt, dass Frauen auch dann illegal abtreiben, wenn die Abtreibung unzugänglich ist oder gegen das Gesetz verstößt. In einigen Fällen steht dabei ihr Leben auf dem Spiel.

Dem Projektteam war es wichtig eine Ausstellung über Abtreibung aus der Sicht von Frauen zu machen, um zu zeigen, dass das Persönliche politisch ist, und um die Tabus der zum Schweigen gebrachten Frauen zu brechen. Heute hat eine von drei Frauen in Norwegen eine Abtreibung hinter sich. Dennoch sprechen nur wenige über ihre Erfahrungen mit anderen Menschen als ihren Partnern, ihren Müttern, Geschwistern oder einer engen Freundin. Indem ein Ausstellungsraum geschaffen wird, in dem diese Geschichten präsentiert, und Frauen eingeladen werden, ihre Erfahrungen mit Abtreibung zu teilen, kann vielleicht einen Ort geschaffen werden, an dem diese Geschichten Raum haben, erzählt zu werden.

Photo credits: WOMEN’S MUSEUM NORWAY
Was erwartet einen in der Ausstellung?

Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen über 50 anonymisierten persönlichen Geschichten von Frauen über ihre Erfahrungen mit Abtreibung. In Kooperation mit Kolleg*innen und Mitgliedsmuseen des Internationalen Netzwerks der Frauenmuseen (IAWM) ist es gelungen Geschichten aus etwa 20 Ländern von allen fünf Kontinenten zu sammeln. In den meisten Fällen liegt auch ein historischer Überblick über die Geschichte der Abtreibung in diesen Ländern vor.

Als Ausgleich zu den persönlichen Geschichten der Frauen gibt es in der Ausstellung auch einen Raum, in dem das Gesundheitspersonal seine beruflichen Erfahrungen im Umgang mit Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen wollen, präsentiert. So wird zum Beispiel eine Ultraschall-Hebamme interviewt, die in der örtlichen Abtreibungsklinik des Krankenhauses in Kongsvinger arbeitet.

Ein weiterer Teil der Ausstellung widmet sich dem Aktivismus rund um Abtreibung. Bilder und Objekte zeigen und erinnern an die Forderungen vieler Frauen über ihre Fruchtbarkeit, ihren Körper und den Schwangerschaftsabbruch selbst bestimmen zu können. So z.B. die mit Protestslogans beschrifteten Unterhosen, die in der Ausstellung zu sehen sind. Diese stammen von einer Demonstration, die von der norwegischen radikalfeministischen Gruppe Kvinnegruppa Ottar initiiert wurde. Nachdem 2019 das norwegische Abtreibungsgesetz um eine Einschränkung erweitert wurde, hatten viele Frauen das Gefühl, dass sie dieses Recht, das sie vierzig Jahre lang für selbstverständlich gehalten hatten, erneut schützen mussten. Die radikalfeministischen Gruppe Kvinnegruppa Ottar rief Frauen dazu auf, Protestslogans auf alte Unterhosen zu schreiben und diese an das Büro des Premierministers zu schicken. Nachdem Mona Holm, die Projektleiterin der Ausstellung, im Namen des Frauenmuseums von Norwegen einen Brief an das Büro des Ministerpräsidenten geschrieben hatte, sind diese Höschen nun Teil der Museumssammlung und Teil der Ausstellung.

Das visuelle Konzept der Ausstellung stammt von einer schwedischen Kunstgruppe, die sich mit Feminismus und der Geschichte der Frauen beschäftigt. Eine der Künstlerinnen, Helen Karlsson, zeichnete über fünfzig verschiedene Gesichter, um den anonymisierten Frauengeschichten eine fiktive Identität zu geben. Sie entwarf außerdem eine Tapete mit historischen Abtreibungsmethoden, auf der wir Zitate aus den gesammelten Geschichten platzierten, ebenso wie eine Vaginatapete und eine Verhütungsmitteltapete. Sie alle schmücken die Wände in der physischen Ausstellung und werden auch Teil der visuellen Gestaltung der Online-Ausstellung sein.

Photo credits: WOMEN’S MUSEUM NORWAY
Für wen wird diese Ausstellung gemacht?

Zunächst einmal müssen wir sagen, dass wir in Norwegen das Glück haben, eine Ausstellung über Schwangerschaftsabbrüche machen zu können. Wir haben sogar finanzielle Unterstützung von der norwegischen Gesundheitsdirektion erhalten. Aus Gesprächen mit unseren Kolleg*innen von IAWM wissen wir, dass dies nicht in allen Ländern der Fall ist. Aus diesem Grund wollte das norwegische Frauenmuseum diese Ausstellung auch im Namen aller Frauenmuseen machen und den Besucher*innen von Frauenmuseen auf der ganzen Welt eine Online-Ausstellung anbieten. Daher ist die erste Sprache der Online-Ausstellung Englisch.

Die physische Ausstellung im Frauenmuseum in Norwegen richtet sich an Jugendliche, junge Erwachsene und Erwachsene. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Ausstellung Raum für Reflexion, Erinnerungen, Fragen und tiefen Respekt für die Frauen schafft, die ihre Geschichten mit uns geteilt haben. Ohne sie gäbe es keine Ausstellung, und wir sind all unseren anonymen Informantinnen sehr dankbar, die so mutig waren und ihre Geschichten erzählt haben. Sie haben dazu beigetragen, das Schweigen zu brechen, einige Mythen zu zerstören und Raum für die universelle Erfahrung zu schaffen, die Abtreibung ist.

 

Yvonne Rauter

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